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07.09.2022 | Aktuelles

Mit Mooren und Wäldern zur Klimakorrektur

Was sind die Folgen für Klima, Mensch und Wirtschaft wenn die Erde sich um drei Grad erwärmt? Und welche naturbasierte Maßnahmen können ergriffen werden, um die Erhitzung zu reduzieren und das Klima insgesamt zu stabilisieren? Der Aufsatzband “3 Grad mehr: Ein Blick in die drohende Heißzeit und wie uns die Natur helfen kann, sie zu verhindern” nimmt diese Fragen multiperspektivisch, long durée und interdisziplinär in den Blick.

Eigentlich ist zu dem Thema schon alles gesagt. Und doch ist es fesselnd, noch einmal vor Augen geführt zu bekommen, wie mit jedem Zehntelgrad mehr, jeder Naturkatastrophe und jedem neuen Krisenherd sich unser aller Leben verändert und ändern wird. In den fünf Aufsätzen des ersten Teils des insgesamt 300 Seiten langen, dreigeteilen Buchs vom Herausgeber Klaus Wiegandt fokussieren Expert*innen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen die prognostizierten Effekte auf eine Welt, die durch die Erwärmung um drei Grad in eine Heißzeit rutscht. Diese Effekte können laut der Autor*innen regional durchaus früher und mit größerer Wucht eintreten. Aufgund der Tatsache, dass sich Landgebiete doppelt so schnell erwärmen wie der prognostizierte globale Mittelwert, könne die Erwärmung von Deutschland sogar bei bis zu sechs Grad liegen. 

Nach und nach analysieren die Autor*innen im ersten Teil die Effekte für Klima und Wetter, Biodiversität, Landwirtschaft, Fluchtbewegungen und ökonomische Risiken und ordnen die prognistizierte Veränderungen in die Natur- und Menscheitsgeschichte ein. Auch wenn die Aufsätze dadurch und wegen der Dichte der Studienergebnissen, der Fülle der Ansätze, der Differenzierungen und der inhaltlichen Redundanzen zuweilen dem Leser etwas Geduld abverlangen, entsteht am Ende ein eindruckvolles Bild einer aus dem Fugen geratenden zukünftigen Welt.

Kaskaden von Kippunkten und Schäden
Eine “Kaskade von Kippunkten” natürlicher Teilsysteme droht uns zukünftig, schreibt Stefan Rahmstorf, die sich “wie Dominosteine gegenseitig auslösen”. Als Beispiel soll hier das Abschmelzen des Teilsystems Arktisches Meereseis dienen, dies hat systemische Folgen für andere Teilsysteme wie den Golfstrom. Verändert sich der Golfstrom, füht das wiederum zu Extremwetter und zu tiefgreifenden, mehr oder weniger abrupten und andauernden Veränderungen von Ökosystemen. Nichts weniger als einen ökologischen „Regimewechsel“, wie Bernhard Kegel es in seinem Aufsatz bezeichnet, steht uns bevor: Das verschwinden der Wälder durch Trockenheit und Brände, das Massensterben von einheimischen Tieren auf dem Land und im Wasser, die stark reduzierte Biodiversität und die Zuwanderung wärmeliebender Arten und Schädlinge.

Die Folge der verändernden Teilsysteme sind andauernde „Schadenskaskaden“ schreiben Leonie Wenz und Friderike Kuik. Volkswirtschaftlich, so die Autor*innen, werde nach konservativer Einschätzung jährlich fünf Prozent des Bruttosozialprodukts benötigt, um die Schäden des Klimawandels zu begenen. Ein weiterer Aufsatz fokussiert die heutige Landwirtschaft. Dieser drohen massive Ernteeinbußen und -ausfälle aufgrund einer zunehmenden Degradierung und schleichende Unbrauchbarkeit großer Landstreifen – immerhin gelten jetzt schon mehr als die Hälfte der weltweiten Agrarflächen als degradiert. In der Folge werden bis 2050 über 200 Millionen Menschen weltweit migrieren müssen, beschreibt der Aufsatz „Flucht vor Hitze, Dürre und Extremwetter“.

Naturbasierte Lösungen
Der zweite Teil exerziert anhand von sechs Aufsätzen mögliche naturbasierte Lösungen durch. Die Grundannahme ist, dass die Restauration der Ökosysteme zur Klimastabilisierung beziehungsweise zur Korrektur der momentanen Klimaentwicklung führt. Zu den wichtigesten Maßnahmen, die alle in einem separaten Aufsatz dargestellt werden, gehören der umgehende Stopp der Abholzung der Regenwälder, die systematische und weltweite Aufforstung, die Wiedervernässigung der Moore und ein möglichst hohe Hummusanreicherung auf Agrarflächen. Zur naturbasierten Lösung gehöre aber auch, so der Autor Hand Joachim Sellnhuber, die Rückkehr zum Holzbau im außergewöhnlich belastenden Bausektor – immerhin verantwortlich für rund 40 Prozent der Treibhausgase.

Im finalen Teil „Call to Action“ argumentieren unter anderem Jutta Allmendiger und Wolfgang Schroeder, dass Klimawandel auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit sei. Insbesonder sozial Schwächere seien von den Effekten des Klimawandels betroffen, auch wenn sie im Vergleich zu den Wohlhabenden einen wesentlich geringeren ökologischen Fußabdruck erzeugen. Eine ausgeglichende Sozial- und Steuerpolitik wäre hier ein notwendiges Korrektiv, so die Autor*innen.

Was unbeantwortet bleibt
Insgesamt liefert das Buch einen wertvollen Impuls zu den naturbasierten Möglichkeiten zur Stabilisierung des Klimas, die deutlich über die Schwerpunkte des Pariser Klimaabkommens – Effizienzssteigerung und Energiewende – hinausgehen. Gleichzeitig finden wichtige realpolitischen Fragen und Herausforderungen zu wenig Beachtung, was der Überzeugungskraft des Buchs sicherlich nicht geschadet hätte. So bleibt es vor allem ein düsterer Blick in eine nicht mehr ferne Zukunft.

Stefan Rahmstorf schreibt zu einer drei Grad wärmeren Welt: “Ich bin nicht sicher, ob das halbwegs zivilisierte Zusammenleben der Menschen, wie wir es kennen, unter diesen Bedingungen noch Bestand haben wird. Ich persönlich halte eine 3-Grad-Welt für eine existenzielle Gefahr für die menschliche Zivilisation”.

Anne Loos

Autorin

Anne Loos

Anne Loos arbeitet in der Koordinierungsstelle Rheinland.


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